Dieser Artikel ist aus der Reihe „Wir stellen uns vor“, in der wir alle Mitarbeiter im Palasthotel einmal vorstellen möchten. Die Interviews hat Ute Mündlein geführt und verschriftlicht, mit der wir ganz besonders gerne zusammen arbeiten. Wir veröffentlichen die Texte „in order of appearance“ der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in der Firma.
Wissen wollen, was die (Entwickler)-Welt im Innersten zusammenhält – Interview mit Arne Seemann
»Irgendwie will ich wissen, warum dieses und jenes jetzt so ist, was die Entwickler-Welt im Innersten zusammenhält.« Dieser Satz lässt sich bei Arne auch auf andere Bereiche anwenden. Er ist laut seinen Kollegen ein nie versiegender Quell an Empfehlungen für Comics, Whisky oder Gadgets im Allgemeinen, wie man auch im Interview nachlesen kann. Darin gibt er nicht nur Produkt-Tipps, sondern erzählt auch von seiner Arbeit als Frontend-Entwickler bei ZEIT ONLINE.
Arne blogt gelegentlich privat unter www.arnalyse.de.
Was machst du bei Palasthotel?
Neudeutsch würde man mich als »Full Stack Web Developer« bezeichnen. Das heißt, ich mache Dinge, die sowohl in den klassischen Frontend- als auch den Backend-Bereich fallen.
Im Frontend-Bereich wären das viel HTML & CSS mit etwas JavaScript, im Backend-Bereich Drupal– und WordPress-Entwicklung. Zusätzlich schraube ich mit Enno zusammen an Butler, unserem hauseigenen Tool. Dazu kommt gelegentlich auch etwas Design.
Es gefällt mir, von allem ein bisschen zu machen, das entspricht eher meinem Naturell, als in einem klitzekleinen Fachbereich ein arkanes Wissen aufzubauen. Irgendwie will ich wissen, warum dieses und jenes jetzt so ist, was die Entwickler-Welt im Innersten zusammenhält.
Wie ist dein beruflicher Werdegang?
Ich habe im Hauptfach Linguistik an der Uni Bielefeld studiert. Als Nebenfach Wirtschaftswissenschaften Schwerpunkt BWL, etwas Solides, womit man in der freien Wirtschaft irgendwie unterkommt, so der Plan. Die Mischung war im Nachhinein betrachtet gut gewählt, weil es Abwechslung bot.
Bei der Linguistik gab es zwei Schwerpunkte: »Kommunikation und Sprache« sowie »Texttechnologie« (die der Compunterlinguistik inhaltlich sehr nahe steht). Da ich mich nicht entscheiden konnte, habe ich beides studiert.
Wie wird man da dann Full Stack Web Developer?
Ich gehöre noch zu der Generation, die früh am Computer rumgedoktert hat, weil man es musste, wenn man Computerspiele spielen wollte. Von daher hatte ich ein gewisses Grundverständnis.
Im Bereich Texttechnologie gab es aber auch diverse Programmierkurse, zum Beispiel Einführung in die Java-Programmierung. Bei Ben hatte ich noch den Kurs »Textstruktur und Textsatz«. Da habe ich einiges über XML und HTML gelernt. Er hatte immer betont: »Hypertext ist kulturell betrachtet etwas ganz Besonderes, weil es das vorher nicht gab.« Das hat bei mir ein Grundinteresse an HTML geweckt. Ich habe mich allerdings nie viel in der Freizeit mit den Sachen beschäftigt, sondern mir die Dinge quasi »on-the-job« beigebracht.
Bei ZEIT ONLINE war ich nach dem Bachelor-Studium zunächst als Praktikant im Backend bei Ben, dann als Masterand während des Relaunches (2009) und später als Frontend-Entwickler – wobei ich mehr zufällig – aus Platzgründen im Frontend gelandet bin.
Dort habe ich dann wahnsinnig viel über CSS im großen Stil gelernt, insbesondere von Nico Brünjes. Insgesamt zwei Relaunches durfte ich begleiten. Das waren tolle Zeiten.
»Vorne ist da, wo sich keiner mehr auskennt.«
Du hast für deine Masterarbeit bei ZEIT ONLINE eine App entwickelt?
Das war eine iPhone-App und 2009 auch noch etwas richtig Neues. ZEIT ONLINE hatte damals noch keine App, und ich dachte: »Dann mach ich halt eine.« Frisch von der Uni ist man noch mit diesem naiv-charmanten Größenwahn gesegnet. Als Zitat schrieb ich vorne in meine Masterarbeit: »Vorne ist da, wo sich keiner mehr auskennt.« Darüber muss ich bis heute noch schmunzeln. 😀
Die App war dann – bei aller Bescheidenheit – auch ziemlich cool. Man konnte die Artikel von ZEIT ONLINE lesen und sie sogar offline abspeichern. Dazu noch ein paar neuartige Bedienkonzepte, so mit Multi-Touch und Hin-und-her-Wischen. Das hat viel Spaß gemacht, dieses Gefühl, ganz vorne mit dabei zu sein und am Ende etwas programmiert zu haben, das man seinen Freunden auf dem iPhone zeigen konnte.
An welchen Projekten hast du bei Palasthotel mitgearbeitet?
Das erste war der Relaunch der Foren von Rollingstone und Metal Hammer. Wahnsinn! So viele Daten. Ich meinte zu meinen Kollegen: »Es ist eine absolute Unverschämtheit, mir das als mein erstes Projekt zu geben.« Viel gelernt, viel geschwitzt, und ich glaube, mit so einem Einstieg lassen sich die folgenden Projekte wesentlich gelassener angehen.
Was hast du sonst noch so entwickelt? Gerne auch private Projekte.
… peinliche Stille …
Ich verlier mich gerne in Details, deswegen verlaufen meine kleinen Projekte auch meistens im Sande. Was nicht heißt, dass ich da nichts lerne. Nur zum Zeigen hab ich am Ende nichts.
Da wäre zum Beispiel eine eigene kleine Seite, auf der ich Zitate speichern wollte, eine Art Online-Zettel-Kasten. Jedes Mal, wenn man auf die Seite kommt, gibt es ein neues Zitat, das Ganze auch noch typografisch schön dargestellt. Das wollte ich mit Node.js umsetzen, um mich damit etwas näher zu beschäftigen. Node.js ist dafür eigentlich nicht so gut geeignet. Naja, ich bin dann bei der Rumspiel-Phase hängengeblieben und nicht zu der inhaltlichen Phase durchgedrungen …
Oder die iPhone-App, die man auf neudeutsch vielleicht als Habit-Tracker bezeichnen würde. Das heißt, ich definiere mir Ziele und kann jeden Tag festhalten: Habe ich geschafft, habe ich nicht geschafft. Das wollte ich schon 2014 machen, da war der App-Store noch nicht mit solchen Apps überflutet. Vielleicht nehme ich das noch in Angriff, die meisten Apps finde ich zu überladen, mir reicht etwas ganz Schlichtes, Einfaches.
An beruflichen Projekten ist mir die Web-App von ZEIT ONLINE in Erinnerung geblieben. Nach der sehr erfolgreichen iPad-App, in der man die wöchentliche Ausgabe der ZEIT lesen konnte, haben wir 2012 versucht, dieses App-Erlebnis in einer Web-App zu realisieren. Also das gleiche tolle Lesevergnügen wie in der App, nur direkt im Browser. Das war wirklich bleeding edge, nur die Financial Times hatte sich an etwas Ähnlichem versucht.
Wir haben sagenhaft viel gelernt. Leider waren Browser damals noch nicht so weit, dass es wirklich Spaß gemacht hat, die App zu benutzen. Schade, umso mehr freut es mich, dass sich Browser ständig weiterentwickeln und man heutzutage mit modernsten Web-Technologien genau so eine App nochmal in richtig gut bauen könnte.
Du bist Comic-Liebhaber. Welche kannst du empfehlen?
Vor ca. zwei Jahren habe ich auf dem iPad Comixology ausprobiert. Dort habe ich extrem viele Comics fernab der großen Verlage Marvel und DC entdeckt. Besonders angetan haben es mir die Comics des Image Verlags.
Das ist so ein bisschen die Avantgarde der US-Comics. Meistens sogar »creator owned«. Das heißt, Autoren und Zeichner behalten die Rechte an ihren Figuren und müssen sie nicht an die großen Verlage abtreten. Dementsprechend genießen sie auch mehr erzählerische und stilistische Freiheiten. Und: Meist sind das keine ewig fortlaufende Serien, sondern abgeschlossene Erzählungen. Fantastischer Lesestoff. Da werden Ideen nicht totgeritten, sondern wirklich nur so lange erzählt, wie es sich lohnt.
Empfehlen kann ich eigentlich alles, was Warren Ellis geschrieben hat. Ein grandioser Autor. Injection ist eine seiner aktuellen Serien, und bietet einen sehr unterhaltsamen Einstieg. Skurrile Charaktere, packende Story und der typische Humor von Ellis.
Brian K. Vaughn hat viele gute Serien gemacht. Beeindruckt hat mich Ex Machina. Dort geht es um einen Ingenieur, der durch einen Unfall mit Maschinen reden und ihnen Befehle geben kann. Er ist so etwas wie ein Superheld. Dann hängt er das an den Nagel und wird Bürgermeister von New York. Am besten fand ich an der Geschichte: Sie ist so gut geschrieben, dass man sich mehr für den Bürgermeister, als für den Superheldenteil interessiert.
Die zweite Serie von Brian K. Vaughn ist die bekanntere: Saga. Die empfehle ich jedem, der mit Comics bisher nicht so viel anfangen konnte, aber in etwas Zeitgemäßes reinschnuppern will. Spielt auf fernen Planeten, ist durchzogen mit tonnenweise absurden Einfällen und erzählt von einer Soldatin und einem Soldaten, die ein Kind kriegen, obwohl ihre Planeten gegeneinander Krieg führen. Fiona Staples zeichnet dabei mit so klaren Linien so wunderbar und verleiht den Figuren so viel emotionale Bandbreite, ein Genuss.
Meine derzeitige Lieblingsserie ist Shutter. Sie ist von Joe Keatinge und Leila Del Duca. In der Beschreibung dazu steht »Indiana Jones für das 21. Jahrhundert«. Ähnlich abenteuerlich, viel abgefahrener, mit einer supercoolen Protagonistin. Herrlich. Der Comic ist der mit Abstand abgedrehteste, den ich dieses Jahr lesen durfte, und ich bin noch immer entzückt.
Du magst außerdem Whisky, auch hier die Frage: Was kannst du empfehlen?
An Whisky mag ich, dass man weiß, wie er schmeckt. Bei Wein ist ja jeder Jahrgang anders, und man kann selten den gleichen guten Tropfen zweimal ergattern. Dazu kommt das Ritual, die Gemütlichkeit, es passt so schön zu Wintertagen und ans raue Meer.
Empfehlen kann ich alles, was von der Insel »Islay« kommt. Das sind torfige, rauchige Whiskys. Für den Einstieg vielleicht einen 12 Jahre alten Bowmore, der ist sehr rund. Wenn es richtig rauchig sein darf, sollte man zum Laphroaig »Quarter Cask« greifen. Der ist in besonders kleinen Fässern gereift, wodurch er mehr Aromen aus dem Holz ziehen konnte. Wem das mit dem Torf und dem Rauch nicht so zusagt, dem würde ich »Hedonism« von Compass Box empfehlen. Das ist kein Malt, sondern ein Grain Whisky und sehr geschmeidig.
Ich hatte mich zur Vorbereitung auf das Interview bei deinen Kollegen über dich erkundigt. Da kam der Hinweis: Du bist eine nie versiegende Quelle an Produktempfehlungen, man müsste dich nur fragen und bekommt richtig gute Tipps, wie man ja bei Comics und Whiskey schon lesen konnte.
Ich verbringe in der Tat sehr gerne sehr viel Zeit auf Produkt- und Gadgetblogs. Ich habe die Angewohnheit, sehr vertikal einzusteigen, wenn mich etwas interessiert. Heißt, wenn ich mir einen neuen Rucksack kaufen will, lese ich viel darüber, was die coolsten Rucksäcke sind. Andere Leute verbringen stattdessen lieber die Zeit auf Facebook. Nebenbei fällt dann so viel Sekundärwissen ab, dass ich auch andere damit versorgen kann.
Welche Produkt- und Gadgetblogs liest du so?
Mein Lieblings-Gadget-Blog ist »Tools & Toys« … von Büchern über Rucksäcke bis hin zu Lautsprechern.
Für alles Mögliche, nicht nur Technik, sondern auch Haushaltsgegenstände und so: »Cool Tools«.
Für den gröberen Überblick in der Technik-Welt: der Unterbereich bei The Verge namens »Circuit Breaker«.
Kannst du uns zum Abschluss noch ein paar Tool-Tipps geben? Worauf möchtest du nicht mehr verzichten?
Da ist zum Beispiel iStat Menus, ein kleines Programm für den Mac. Es zeigt an, was der Prozessor grad zu tun hat, wie viele Daten hoch- und runtergeladen werden. Lauter Daten aus dem Maschinenraum meines Computers – immer im Blick.
Für längere Texte Ulysses. Die App ist sehr aufgeräumt, man kann alles an Notizen reinschmeißen und irgendwann weiterschreiben, wenn einem danach ist. Das ist wie ein moderner Zettelkasten.
Mein Mousepad von Ugmonk. Es ist aus Leder und setzt einen schönen Kontrapunkt zur kühlen Digital-Ästhetik meiner Arbeitsumgebung. Mit der Zeit entwickelt es seine eigene Patina.
Wenn man nicht in einem Großraumbüro sitzt diese Tastatur. Sie ist mechanisch und macht richtig schön Klicke-di-Klack. Wenn man ENTER drückt, hat man immer das Gefühl, man würde gerade etwas richtig Wichtiges absenden.
Gute Notizbücher und gute Stifte finde ich auch wichtig. Ich versuche immer mal wieder, einen Bogen ums Digitale zu machen, um meine Gedanken besser sortieren zu können. Da hat mir das System des Bulletjournal sehr gut gefallen.
Danke für das Gespräch und die zahlreichen Empfehlungen!
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