Am 28. Juni tritt – fünf Jahre nach dem Beschluss – das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz in Kraft. Für viele Webseiten und Kundinnen sind die neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen bisher nicht verpflichtend. Es gibt aber trotzdem gute Gründe, sich die eigene Seite aus Barrierefreiheitssicht einmal anzuschauen.
Da eine kleine Anzahl unserer Kundinnen unter das Gesetz fällt und wir auch einige Kundinnen haben, denen das Thema aus Überzeugung wichtig ist, haben wir im letzten Jahr schon mehrere Projekte auf die neuen Anforderungen hin überprüft und einiges verbessert. In diesem Artikel möchten wir die wichtigsten Facetten kurz vorstellen.
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BfSG) hat spezifische Auswirkungen auf die Gestaltung und technische Umsetzung von Webseiten. Hier sind zehn wichtige Auswirkungen in den Bereichen Design und Technik:
- Responsive Design: Webseiten müssen so gestaltet werden, dass sie auf verschiedenen Geräten und Bildschirmgrößen gut funktionieren, um die Zugänglichkeit für alle Nutzerinnen zu gewährleisten. Responsives Design ist seit vielen Jahren State of the Art, aber in einigen Fällen sind die Schriftgrößen gerade für Geräte mit Zwischengrößen nicht optimal lesbar. Im Kontext der Barrierefreiheit ist Responsiveness wichtig, da hierdurch unter anderem auch gewährleistet wird, dass alternative Darstellungsgeräte – wie Braille-Reader oder Screenreader – hinaus die Inhalte korrekt darstellen können.
- Kontrast und Farbgestaltung: Es sind klare Richtlinien für Farbkontraste erforderlich, um sicherzustellen, dass Texte und wichtige Elemente für Menschen mit Sehbehinderungen gut lesbar sind. Wir waren bei den ersten Projekten überrascht, wie oft wir auf zu schlechte Kontraste gestoßen sind, obwohl wir ja selbst große Freunde bestmöglicher Lesbarkeit sind. Die Überarbeitung hier hat praktisch immer dazu geführt, dass die Seite hinterher deutlich klarer und besser strukturiert wirkte. Ein positiver Effekt, der sich bei fast allen Bestrebungen in Richtung Barrierefreiheit ergibt: Die Seiten werden für alle Menschen besser, nicht nur für die, die darauf angewiesen sind.
- Adaptierbarkeit von Gestaltungsaspekten: Mehrere Aspekte des Designs einer Seite sollten durch die Nutzerinnen anpassbar sein; oft erlaubt der Browser bzw. das Betriebssystem diese Funktion. Hierunter fallen vor allem Schriftgrößen, Schriftarten und Schriftfarben. Neu implementieren wir hier inzwischen häufig die Möglichkeit, die Seite durch die Nutzerinnen in den Dark Mode setzen zu lassen. In machen Fällen müssen wir lange zurückliegende Designentscheidungen rückbauen, da sie den Barrierefreiheits-Werkzeugen von Browser oder Betriebssystem im Weg stehen.
- Auswahl von Schriften und Textstruktur: Barrierefreiheit kann über Technik und Form hinausgehen und bspw. die Auswahl der Schriftarten oder die Strukturierung von Texten betreffen. Noch lange bevor wir über die Bereitstellung von Inhalten in leichter Sprache oder Gebärdensprache nachdenken, passen wir bei Bedarf Schriftarten, Zeilenabstände und Layout der Texte an, wenn zu den Zielgruppen einer Seite höchstwahrscheinlich Menschen mit Dyslexie oder Dyskalkulie gehören.
- Semantisches HTML: Die Verwendung von semantischem HTML ist entscheidend, um Screenreadern zu helfen, den Inhalt korrekt zu interpretieren und darzustellen. Das machen unsere Redaktionssysteme oft von Haus aus richtig, aber oft ist die Struktur einer Seite auch eine redaktionelle Entscheidung. Hier konnten wir gemeinsam mit den Redaktionen, die wir betreuen, neue Wege finden, Inhalte besser zu strukturieren.
- Tastaturzugänglichkeit: Alle interaktiven Elemente müssen mit der Tastatur oder tastaturähnlichen Hilfsmitteln bedienbar sein, was bedeutet, dass sie ohne Mauszugriff erreichbar und nutzbar sein müssen. Das nützt nicht nur Menschen mit Einschränkungen, sondern oft auch allen, die etwas mehr mit der Tastatur arbeiten, und hilft, Klickwege zu verbessern und Abbruchraten in Formularen zu reduzieren. Apropos …
- Formularzugänglichkeit: Formulare müssen klar strukturiert sein, mit Labels, die korrekt mit den Eingabefeldern verknüpft sind, um die Benutzerfreundlichkeit zu erhöhen. Viele Formulare verändern sich organisch im Laufe der Zeit, und die Zuordnung von Labels und Feldern verzieht sich daher gerne mal. Hier schafft ein Review mit Blick auf Barrierefreiheit neue Ordnung.
- Alt-Texte für Bilder: Alle Bilder müssen mit aussagekräftigen Alt-Texten versehen werden, um sicherzustellen, dass sehbehinderte Nutzerinnen den Inhalt verstehen können. Das ist auch ein klassischer Schwachpunkt im Bereich SEO: Unsere Redaktionssysteme fordern in der Regel keine Bildbeschreibungen, und oft ist die Qualität daher unter dem, was das BfSG vorsieht. Hier arbeiten wir bei den ersten Redaktionen bereits mit KI-automatisierter Bildbetextung, die sich auf den Kontext bezieht, in dem sie verwendet werden.
- Einfache Navigation: Die Navigation sollte klar und konsistent sein, mit einer logischen Struktur, die es Nutzerinnen ermöglicht, sich leicht auf der Webseite zurechtzufinden. Ein Review der Navigation und zentralen Struktur einer Seite hat sich in den ersten Projekten als besonders wertvoll erwiesen. Navigationen neigen dazu, zu wachsen, während sich parallel Themenschwerpunkte einer Seite verschieben. Einst wichtige Bereiche werden irrelevant und nicht aktualisiert, während neue Bereiche inhaltlich inkonsistent zum Bestehenden aufgebaut werden.
- Zugängliche Multimedia-Inhalte: Videos und Audiodateien müssen mit Untertiteln, Transkripten und Audiodeskriptionen ausgestattet sein, um die Zugänglichkeit für alle Nutzerinnen zu gewährleisten. Auch hier setzen wir bei einigen Kunden bereits sehr erfolgreich KI-Tools ein und erreichen damit eine hervorragende Mehrfachverwerwertbarkeit von Audio und Videoinhalten in Textform, in verschiedenen Sprachen und machen diese somit deutlich besser. auffindbar und archivierbar.
Eigentlich hatten wir vor einer Weile gedacht, dass die Entwicklung im Hinblick auf Barrierefreiheit zu einem guten Status quo gekommen ist. Viele der schweren Fehler der frühen Jahre des Internets waren behoben und wurden in neuen Projekten ganz selbstverständlich nicht wiederholt. Die Konfrontation mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz hat uns hier eines Besseren belehrt und stärkt eine unserer Kernüberzeugungen, die wir seit Gründung der Firma verfolgen:
Webseiten sind keine fertigen Produkte, die man abgeben kann, und die dann für eine halbe Ewigkeit so gut sind und einfach weiter laufen. Webseiten sind lebendige Produkte in einem sich entwickelnden digitalen Ökosystem. Sie erfordern zwar nicht ständige Pflege, aber regelmässige Aufmerksamkeit und Anpassung an sich verändernde äußere Umstände tut ihnen sehr gut.
Das Aufmacherbild ist von Vadim Karnakhin und unter der Unsplash-Lizenz.