„Mehr Weißraum“ – Kim Meyer im Interview

Kim Meyer

Dieser Artikel ist aus der Reihe „Wir stellen uns vor“, in der wir alle Mitarbeiter im Palasthotel einmal vorstellen möchten. Die Interviews hat Ute Mündlein geführt und verschriftlicht, mit der wir ganz besonders gerne zusammen arbeiten. Wir veröffentlichen die Texte „in order of appearance“ der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in der Firma.

„Mehr Weißraum“ – Kim Meyer im Interview

„Mehr Weißraum“. Diese zwei Worte sind mir bei Kim besonders in Erinnerung geblieben. Sie fielen, als er den ersten Entwurf für das neue Blog-Template vorgestellt hat. Weißraum ist seiner Meinung nach „immer noch eines der wirkungsvollsten und gleichzeitig meist unterschätzten Gestaltungsmittel, gerade bei Nicht-Designern“.

Echte Innovationen im Bereich Web sieht Kim in Zukunft nur noch bei Details. Wo sich etwas ändern sollte und müsste, wäre Werbung. Da gibt es seiner Meinung nach noch viel zu tun, gerade in Deutschland.

Du bloggst privat auf drei verschiedenen Seiten: greatestview.de, nichtinseattle.de und weisheitdestages.de. Kannst du kurz beschreiben, worum es darin jeweils geht?

Ich blogge tatsächlich in mehreren Blogs gleichzeitig, wobei es schwierig ist, immer Zeit dafür zu finden. Ich sehe mich jetzt auch nicht als den klassischen Blogger mit steilen Thesen und polarisierenden Meinungen. Mir geht es eher darum, Wissen festzuhalten. Zum einen als Archiv für mich selbst, zum anderen natürlich für all diejenigen, die gezielt danach suchen.

Für einen Artikel brauche ich daher oft mehrere Stunden; und die Zeit fehlt in der Regel. Die Liste der Themen, über die ich noch schreiben möchte, wird mit jedem Tag länger. Aber auch wenn nur alle ein, zwei Monate ein Artikel erscheint, ist es auf jeden Fall ein tolles Hobby.

Mein Hauptblog ist greatestview.de, der sich um alle möglichen Themen der Medienwelt dreht. Auch eigene Projekte stelle ich dort vor. Für alles andere habe ich seit kurzem einen Privatblog angelegt: nichtinseattle.de. Und mein dritter Blog ist in dem Sinne eigentlich gar kein richtiger Blog: weisheitdestages.de.

Was machst du bei Palasthotel?

Als ich anfing, für das Palasthotel zu arbeiten, hatte ich mich hauptsächlich im Bereich Frontend-Technik bewegt. Inzwischen hat sich der Schwerpunkt jedoch etwas verschoben, sodass ich nun sehr viele der Palasthotel-Designs konzipiere und umsetze. Neben Ausflügen in die App-Entwicklung oder Projektleitung würde ich sagen, dass Design und Frontend-Entwicklung meine beiden Standbeine sind. Aber wer weiß schon, wie es in den nächsten Jahren aussieht.

Was magst du an deinem derzeitigen Job?

Das sind vor allem vier Dinge: das Wir, das Wie, das Was und das Warum.

Einerseits ist das Firmenklima fantastisch gut. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass es in einer anderen Firma besser sein könnte, nicht mal bei Google mit den bunten Rutschen und Bällebädern. Wir kennen uns größtenteils schon viele Jahre, noch bevor überhaupt absehbar war, dass wir zusammen in einer Firma arbeiten. Und der Musikgeschmack passt auch hervorragend.

„Außerdem wollte ich etwas Greifbares machen; etwas, was man Leuten erklären kann, ohne ihnen vorher ein Formelbuch in die Hand drücken zu müssen.“

Es gibt so gut wie keine Hierarchien, dafür aber größtmögliche Transparenz und demokratische Entscheidungen. Ziel ist es, nicht wie andere Firmen zu expandieren und maximal gewinnorientiert zu sein, sondern ein Arbeitsumfeld zu schaffen, mit dem alle jetzt und in der Zukunft glücklich sind. Dazu gehört die Möglichkeit jedes einzelnen, sich in den Gebieten entwickeln zu können, die sie oder ihn interessieren.

Wie ist dein beruflicher Werdegang?

Nach meinem Zivildienst wollte ich erst in die Ingenieursbranche einsteigen und habe dafür in Paderborn ein duales Studium „Ingenieurinformatik, Schwerpunkt Elektrotechnik“ begonnen. Mathe und Physik im Abi, gute Berufsaussichten, da liegt das schon nahe. Allerdings hat mir immer der kreative Teil gefehlt. Außerdem wollte ich etwas Greifbares machen; etwas, was man Leuten erklären kann, ohne ihnen vorher ein Formelbuch in die Hand drücken zu müssen. So habe ich dann den Absprung nach Bielefeld geschafft, zum Studiengang „Medieninformatik und Gestaltung“.

Nach einem Auslandssemester in Australien bin ich noch für ein Masterstudium der „Interdisziplinären Medienwissenschaften“ in Bielefeld geblieben, obwohl ich zu dem Zeitpunkt schon unbedingt nach Berlin ziehen wollte. Da kam das Jobangebot vom Palasthotel Berlin wie gerufen. Während meiner gesamten Studienzeit habe ich allerdings schon nebenberuflich im Bereich Design, Webentwicklung, Print und Filmproduktion gearbeitet.

Man merkt, dass dir Design wichtig ist. Wie kommt das?

In der Schule fand ich neben Mathe und Physik auch immer schon Kunst und Musik sehr spannend. Als Kind habe ich sogar mal eine Zeit lang versucht, Comics zu zeichnen und Figuren zu entwerfen, allerdings nicht so wirklich erfolgreich. Später kamen dann noch Aufgaben wie das Gestalten der Abitur-Website oder die unserer Rock-Band hinzu.

Kunst bedeutet für mich, Regeln zu brechen, Design dagegen gewissen Regeln und Gesetzmäßigkeiten zu folgen. Ich sehe mich da eher als technischen Designer, der es spannend findet, wenn das Layout, das Design einer gewissen Struktur folgt. Gerade im Web-Bereich gehören Design und Technik meinem Verständnis nach untrennbar zusammen. Bei Palasthotel haben wir viele textorientierte Projekte mit typografielastigem Design, was meiner Vorliebe natürlich entgegenkommt.

Ansonsten habe ich mich während des Studiums viel mit Fotografie beschäftigt, auch sehr intensiv mit der Technik. Das wurde dann später größtenteils abgelöst durch Kurzfilm-Produktionen. Neben Produktion und Drehbuch habe ich mich dabei meistens auch mit der Technik beschäftigt, z. B. Kamera und Schnitt.

Ich finde ja, dass die Grundregeln der Bildgestaltung branchenübergreifend gelten: egal ob Fotografie, Bewegtbild oder Print-Design. Gewisse Regeln gelten überall. Wenn man sich in einer Disziplin gut auskennt, kann man andere schnell adaptieren.

„Wenn der Text zu lang ist, kann man nicht einfach die Schrift kleiner machen und den Zeilenabstand halbieren.“

Du hast das neue Blog-Theme entwickelt. In Erinnerung geblieben sind mir bei der Vorstellung des ersten Entwurfes die Worte „mehr Weißraum“.

Auf jeden Fall! Weißraum ist immer noch eines der wirkungsvollsten und gleichzeitig meist unterschätzten Gestaltungsmittel, gerade bei Nicht-Designern. Es ist nur schwierig zu erklären, dass etwas, was man nicht sehen kann, eine wichtige Funktion hat. „Können wir nicht alles etwas kompakter machen und dafür noch ein Werbebanner einbauen?“ Diese Frage hat bestimmt jeder Designer schon mal gehört. Nur: Wenn der Text zu lang ist, kann man nicht einfach die Schrift kleiner machen und den Zeilenabstand halbieren.

Der richtige Ansatz ist das Gegenteil davon, nämlich Inhalte laufen zu lassen und ihnen den Raum zu geben, den sie benötigen. Ein gutes Design funktioniert mit allen Inhalten, egal, ob kurz oder lang, groß oder klein. Diese Denkweise hat uns schon unser damaliger Typografie-Dozent mit auf den Weg gegeben, aber ich habe das Gefühl, dass ich sie erst durch die Arbeit im Palasthotel richtig verinnerlicht habe. Ich finde, das hat etwas Befreiendes.

Was hast du gelernt, außer dass es dauert, bis WordPress ein Theme freischaltet?

Der Design-Prozess ist der gleiche wie bei anderen Kunden-Projekten auch, technisch muss man aber mit so viel mehr Anwendungsfällen rechnen. Mit einer Redaktion kann man besprechen, wie etwa die Bildformate ausgewählt oder die Lead-Texte eingesetzt werden sollen. Auch die Plugins sind vorgegeben. Wie unser öffentliches Theme dagegen benutzt wird, können wir nicht vorhersagen, da kann theoretisch alles passieren. Das Design und die Technik müssen so gut es geht dafür gerüstet sein.

Welche Trends siehst du im Bereich Webdesign/Entwicklung/Online? Du beschäftigst dich ja auch privat viel damit. 

Ich denke, dass wir mit den typischen Anwendungsfällen, die es zur Zeit gibt, zukünftig nur noch Innovationen in Details erwarten können. Die UX-Patterns haben sich in vielen Studien etabliert und sind gut abgehangen, die Frontend-Technik ist auf einem sehr guten Stand im Vergleich zu früher, Browser-Unterschiede sind kein Problem mehr. Das Web wird natürlich die nächste Zeit noch schneller und robuster werden. Facebooks Instant Articles und Google AMP zeigen hier, was noch möglich ist. Auch kann ich mir vorstellen, dass die Grenzen zwischen nativen Apps und Web-Apps weiter verschwimmen.

Was eher das Potential hat den Markt umzukrempeln ist die Werbung: Während im Ausland schon länger mit freieren Bannerformaten hantiert wird, halten sich in Deutschland noch hartnäckig die größeren Blockelemente, wie beispielsweise das Fireplace. Ein Grund warum deutsche Websites oft noch aussehen als stammten sie aus einem anderen Jahrzehnt. Sollte sich daran was ändern hätte es erheblichen Einfluss auf die Gestaltungsmöglichkeiten.

Andererseits sehe ich die klassische Bannerwerbung so langsam am Ende, denn sie ist nervig und langsam. Die Verlage experimentieren aktuell mit Ad-Blocker-Blockern, nativen Ads und alternativen Bezahlmodellen um überleben zu können. Es entstehen sogar auf den ersten Blick verrückte Projekte wie der Browser Brave von Ex-Mozilla-CEO Brendan Eich, der Werbung ersetzt und dadurch Einnahmen generiert. Hier wird sich noch einiges tun, denke ich.

Langfristig werden aber neue Geräteklassen einiges an Schwung in die Branche bringen, so wie es schon Smartphones und Tablets getan haben und Smartwatches vielleicht noch tun werden. Vor allem interessiert mich hier die Entwicklung der VR-Brillen wie die der Oculus Rift oder der Microsoft HoloLens. Vielleicht gibt es ja auch in ein paar Jahren endlich faltbare superdünne Rechner, die man sich ins Portemonnaie stecken kann. Wer weiß.

Apropos, auf welche Tools willst du nicht mehr verzichten?

Persönlich halte ich es gerne einfach. Bewährt haben sich der iA Writer für Notizen und Sublime Text als Universal-Editor. Interessanterweise sind es oft die kleinen Dinge, die die Produktivität immens steigern können, wie etwa Tools für Textbausteine (Mac: Dash, Windows: Phrase Express), Passwort-Manager (1 Password) oder Fenster-Manager (Mac: BetterSnapTool). Nicht zu vergessen Dreamweaver! Kleiner Spaß. Und für alles was noch fehlt baut der faule Informatiker sich einfach selbst ein Skript.

Welche Blogs sollten andere Leute auch lesen? In einem Blogpost forderst du ja als Schlüssel für eine bessere Welt „lasst uns mehr lesen, Blogs, Zeitungen, Magazine, Bücher, egal was. Und lasst uns mehr vorlesen.

Ich denke, es ist gar nicht so wichtig, was genau gelesen wird. Hauptsache, man bleibt offen für neue oder andere Ansichten und schaut auch mal über den Tellerrand. Auch das bewusste Lesen eines Textes finde ich immer wichtiger, auch wenn das bei mir nicht sonderlich gut klappt.

Einer der interessantesten Blogs in meiner Feed-Liste ist der BILDblog: Kritisches und gut recherchiertes Hinterfragen ist in Zeiten von Google und Clickbaiting wichtiger denn je.

Zum Abschluss: Was würdest du gerne einmal tun?

Da gibt es so einiges: Die Welt bereisen, wieder mehr Musik machen, einen Langfilm drehen, ein paar verrückte Projektideen umsetzen… Die Liste ist lang.


Alle Beiträge der Serie 'Wir stellen uns vor'

  1. „Die gedruckte Seite wird bald vorbei sein“ – Interview mit Benjamin Birkenhake
  2. „Einmal englischer Nationalspieler sein“ – Sascha Hagemann im Interview
  3. Wie ist es denn, mit Alice Schwarzer zu arbeiten? – Interview mit Marcus Abel
  4. „Mehr Weißraum“ – Kim Meyer im Interview
  5. Wie man es schafft, schneller Code zu schreiben – Interview mit Enno Welbers
  6. „Nicht weit weg vom Puls der Zeit“ – Interview mit Stephan Kroppenstedt
  7. „Viel bewegen!“ – Interview mit Edward Bock
  8. Wie das Smartphone hilft, bessere Fotos zu machen – Interview mit Julia Krischik
  9. Einfach machen und anfangen – Interview mit Jana Eggebrecht
  10. Wissen wollen, was die (Entwickler)-Welt im Innersten zusammenhält – Interview mit Arne Seemann
  11. Wie ist es, mit so vielen Nerds zusammenzuarbeiten? – Interview mit Anne-Birga Niepelt
  12. Warum ich lieber im LA der 80er Jahre aufgewachsen wäre – Interview mit Jule Härtel
  13. Die Welt ein bisschen schöner machen – für sich und vielleicht auch für andere – Interview mit Matthia Tiemeyer
  14. Was ist eine Zahnarztallee? – Interview mit Sebastian Srb
  15. Wie wurdest du zum Party-Mönch? – Interview mit Benjamin Böcker

Schreib eine Antwort

Deine E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Ähnliche Beiträge