Die Idee des folgenden Artikels hatte ich für die EuroIA dieses Jahr in Amsterdam eingereicht. Obwohl wir tolle Reviews hatten und alle Reviewer den Talk auch empfohlen haben, wurden wir nicht genommen, ein paar andere waren einfach noch besser.
Ich bin nicht so ganz böse drum, weil sich just am 24. September bei mir zuhause neuer Nachwuchs angekündigt hat. Die Gedanken, die wir uns für den Talk gemacht haben, möchte ich aber trotzdem gerne teilen. Es geht um das Phänomen, dass wir es immer häufiger nicht mit einer einzelnen Website zu tun haben, sondern mit – im weitesten Sinne des Wortes – komplexeren Netzwerken von Sites. Im Folgenden werden wir insbesondere auf die Herausforderungen für die Informationsarchitektur bei solchen Projekten eingehen.
Die Ausgangssituation
Schon die Situationen, die dazu führen, dass man mehr als eine Site hat, sind sehr unterschiedlich. Hier lassen sich drei Typen von Situationen erkennen.
- Wachstum von innen heraus: Manche Sites starten mit einem kleinen Team und wachsen dann, werden mehr Mitarbeiter, mehr Inhalte und stellen sich thematisch breiter auf. Irgendwann kommt der Punkt an dem beispielsweise ein Ressort mehr Freiheiten braucht oder haben will, seien es gestalterische oder funktionale.
Ein schönes Beispiel hierfür ist das Zeit Magazin, das zuvor eine ganze Weile im normalen Design von Zeit Online auftrat und dann 2014 eine eigenständige Anmutung erhielt. Aber auch die Ausdifferenzierung des von uns betreuten Projektes Netz gegen Nazis und Fussball gegen Nazis ist ein gutes Beispiel dafür. Auch die eigenen Markenauftritte der Untertitel des Musikexpress gehören in diese Kategorie. - Natürliche Hierarchie: Manche Sites haben bereits in ihrer Domäne eine quasi natürliche Hierarchie, die eine Ausdifferenzierung fast schon vorschreibt.
Das schönste Beispiel hierfür ist das US-Sport-Portal SB Nation, das nach Sportarten, Ligen und Vereinen gegliedert ist. Unser eigener Kunde, die Heinrich-Böll-Stiftung ist ein weiteres gutes Beispiel, denn die Stiftung besteht neben der großen Bundesstiftung auch noch aus zahlreichen Landesstiftungen und Auslandsbüros, insgesamt derzeit 48 Sites, die wir betreuen. - Fusion aus externen Gründen: Manchmal werden Sites aus „äußeren“ Gründen zu einem Netzwerk zusammengeführt. Ein Grund kann sein, dass eine zuvor eigenständige Site von einem Verlag gekauft und in eine andere Seite integriert wird.
Dabei kann schon das Grund-Setup sehr unterschiedlich aussehen: Ein „Netzwerk“ kann dabei aus einer Reihe von Einzel-Installationen von Redaktionssystemen bestehen, aber auch aus einer sogenannten Multisite-Installation oder nur einer zentrale Installation, die den Anschein erweckt, mehrere Sites zu sein.
Die Herausforderung
Jedes Projekt hat natürlich seine eigenen Herausforderungen, nicht zuletzt auch technische. Als grundsätzliche, abstrakte Herausforderungen bei all diesen Projekten stoßen wir aber immer wieder auf die Aufgabe, eine Balance zwischen Gemeinsamkeit und Eigenständigkeit zu finden.
Auf der einen Seite steht immer der Wunsch, wenigstens eine minimale gemeinsame UX haben (meist deutlich mehr als das) und so viele redaktionelle, technische und wirtschaftliche Synergien wie (vernünftiger Weise) möglich zu nutzen.
Auf der andere Seite gibt es immer einen Wunsch und einen Bedarf nach Eigenständigkeit, in der IA, UI und UX aber mitunter auch in den redaktionellen Prozessen – was der Hauptgrund dafür ist, warum man ja mit einer Seite nicht mehr auskommt.
Wie eigentlich immer bei guter IA und UX gibt es für eine so abstrake Herausforderung keine einfach Lösung und schon erst recht keine, die immer funktioniert. Aber… wir haben immerhin ein Muster erkannt, dass uns dabei hilft, in den Projekten die richtigen Entscheidungen zu treffen, bzw. im Laufe des Projektes die richtigen Fragen zu stellen und auf die langfristigen Konsequenzen von bestimmten Entscheidungen hinzuweisen. Zwei Aspekte haben dabei besonderes Gewicht: Teilbarkeit und Wiederverwendbarkeit.
Aspekt 1: Teilbarkeit
Da wir ja über Informationsarchitekturen reden, beziehen wir uns hierbei vor allem auf zwei Dinge: Gemeinsame Metadaten – beispielsweise wichtige Taxonomien und Vokabulare, wie Formate, Ressorts oder Regionen – und zentrale Datenstrukturen, wie die Strukturen von Content-Typen in Drupal und WordPress. Dabei haben wir folgende Typen von Teilbarkeit identifiziert:
- Global und beständig geteilt
- Global und beständig geteilt, aber lokalisiert
- Initial geteilt, dann aber vollständig lokalisierbar
- Geteilt und/oder dupliziert bei redaktionellem Bedarf
- Gar nicht geteilt
„Global“ meint hier natürlich als Rahmen alle beteiligten Sites.
Aspekt 2: Wiederverwendbarkeit
Die Wiederverwendbarkeit ist der Teilbarkeit ziemlich ähnlich, unterscheidet sich aber vor allem in Hinsicht auf die Komponenten, auf die sie sich bezieht. Wiederverwendbarkeit gilt vor allem für funktionale Komponenten, wie z.B. einzelne Features von Artikeln oder speziellen Boxen.
- Global wiederverwendbare Komponente
- Spezialisierte Erweiterung für eine global verwendbare Komponente
- Spezialisierte, aber global wiederverwendbare Komponente
- Spezialisierte, aber nur in einem Kontext benutzbare Komponente
Was bedeutet das alles konkret?
Wir werden in kommenden Artikeln mehrere unserer Projekte betrachten, in denen wir solche komplexen Anforderungen – ganz unterschiedlich – umgesetzt haben. Bis dahin bitte ich noch um ein wenig Geduld, stehe aber für direkt Nachfragen natürlich schon jetzt in den Kommentaren zur Verfügung.
So, das war also eine sehr schöne Einleitung. Und nun bin ich gespannt auf Eure Projekte.
@Konstantin: Der nächste Artikel ist quasie schon fertig.
Hast Du Wünsche zu Details?